Gelesen: »Der Schrecksenmeister« von Walter Moers

Moers SchrecksenmeisterLange haben die Fans auf den neuen Roman von Walter Moers warten müssen. Nun ist »Der Schrecksenmeister« endlich erhältlich. Und von der Ausstattung her lässt das Hardcover wieder einmal keine Wünsche offen. Mit den zahlreichen Illustrationen wirkt auch dieses Buch wie eine limitierte Luxusausgabe. Schutzumschlag, Lesebändchen und der gelbe Schnitt an der Oberkante runden das Erscheinungsbild ab.

»Der Schrecksenmeister« ist ein kulinarisches Märchen aus Zamonien von Gofid Letterkerl, neu erzählt von Hildegunst von Mythenmetz, aus dem Zamonischen übersetzt und illustriert von Walter Moers.

So lautet der komplette Titel des Buches.

Und schnell wird klar: Auch bei diesem Roman widmet sich der Autor in typisch zamonisch-verdrehter Manier einem verstorbenen deutschen Schriftsteller.

Gofid Letterkerl ist natürlich Gottfried Keller, und die Geschichte, um die es in »Der Schrecksenmeister« geht, handelt von Kellers Märchen »Spiegel, das Kätzchen«.

Walter Moers taufte Spiegel in Echo um und aus dem Kätzchen wurde ein zamonisches Krätzchen. Mit den bereits in dem Buch enthaltenen Nachwörtern, dem Artikel von Walter Moers in DIE ZEIT und dem Interview in ASPEKTE über Plagiate, nimmt er mögliche Vorwürfe bereits vorweg. Ob Walter Moers bei Gottfried Keller nun geklaut hat, oder sich lediglich die Idee zu Nutzen machte, muss wohl jeder selbst urteilen.

Zur Geschichte

Echo ist das vermutlich letzte zamonische Krätzchen, das zwar wie eine Hauskatze aussieht, jedoch über zwei Lebern und ein fotografisches Gedächtnis verfügt. Außerdem kann Echo sprechen, was die Kommunikation mit all den wundersamen zamonischen Wesen durchaus erleichtert.

Als Echos Besitzerin stirbt, findet sich das bisher umhegte und geliebte Krätzchen auf den Straßen von Sledwaya wieder. Und Sledwaya ist keinesfalls ein angenehmes Pflaster. Dort lauert der Tod hinter jeder Ecke, jeder Mensch ist eine wandelnde Bakterienschleuder, überall wird gehustet, geprustet, gestorben. Jeder ist krank, verseucht und schleppt sich vom Arzt zur Apotheke oder ins Krankenhaus – sofern er es überhaupt bis dahin schafft. Schuld an dem desolaten Zustand der Stadt und seiner Einwohner ist der Alchimist Eißpin, der sehr Schreckliche.

»Die Düfte, die jedem außer Eißpin selbst in Atemnot und Übelkeit verursachten, hingen beständig in seinen Kleidern und eilten ihm genauso voraus wie sein Geklapper – eine Vorhut von unsichtbaren Leibwächtern, die für den Stadtschrecksenmeister den Weg frei machten.«

Als Eißpin durch die Stadt streicht, flüchten alle vor ihm. Nur Echo harrt aus. Längst ist er abgemagert, verletzt und hat nichts mehr zu verlieren als sein Leben, was ihm in Anbetracht seiner Situation aber auch nicht mehr sehr wichtig ist.

Und genau aus diesem Grund schließt Echo mit dem Schrecksenmeister einen Vertrag. Vier Wochen lang, bis zum nächsten Vollmond, wird Eißpin das Krätzchen mit kulinarischen Köstlichkeiten versorgen. Dafür gehört ihm, nach Ablauf der Frist, das wertvolle Kratzenfett, an das er nur durch Echos Tod gelangt. Doch als Echo wieder zu Kräften kommt und Lust am Leben findet, möchte er gar nicht mehr sterben. Verzweifelt sucht es einen Ausweg dem Tode zu entrinnen und schreckt auch nicht davor zurück eine Schreckse um Hilfe zu bitten.

Wer sich auf Walter Moers Geschichten einlassen will, der braucht Phantasie, Lust auf verdrehte Wörter, seltsame Welten und komische Wesen.

Wer eine logische Handlung sucht, wird hier nicht fündig werden, dafür gibt es wieder eine riesige Portion der speziellen Zamonischen Fabelwesen. Märchen werden in zamonischer Manier umgeschrieben, unterschwellig der ein oder andere auf den Arm genommen und so bleibt es auch nicht aus, dass der Leser schmunzeln und sich nur noch wundern muss.

Da gibt es den sehr gelehrten Schuhu – eine Eule, die gerne Fremdwörter verwendet, diese aber nicht richtig beherrscht. Bei diesen Dialogen muss konzentriert gelesen werden, sonst sortiert das Gehirn die vertauschten Buchstaben in die richtige Reihenfolge und der Witz ist weg.

Doch nicht nur die Wortkreationen machen Spaß, auch Eißpins kulinarische Schöpfungen lesen sich delikat. Eißpin ist nicht nur ein gefürchteter Alchimist, er ist auch ein begnadeter Koch. Und so werden kulinarische Köstlichkeiten aufgetischt, wobei sicherlich nicht alle zamonischen Leckereien unserem Gaumen munden würden. Tim Mälzer hätte jedenfalls sicherlich Freude daran, dem Schrecksenmeister bei seinen Kochkünsten über die Schulter zu schauen.

Sehr schön auch die Verköstigung des Weins, die Degustation: die Sichtung, Schmeckung, Hörung und zum Schluss: Die Pinkelung!

Ob »Der Schrecksenmeister« jedoch eine Geschichte für Katzenliebhaber ist, da bin ich mir als Katzenbesitzerin nicht immer so schlüssig. Manchmal wird Echo sehr verfressen und ein bisschen dumm dargestellt.

Auch diesmal wirft Walter Moers mit Anagrammen um sich. Da wäre Ojahnn Golgo van Fontheweg – leicht als Johann Wolfgang von Goethe zu entziffern. Freiherr von Dillschic ist Friedrich von Schiller. Gofid Letterkerl ist, wie bereits erwähnt, ein Anagramm von Gottfried Keller. Und dann wären da noch Danzelot von Silbendrechsler, Vlorian Gekko, Haimo von Pfirsing, Knulf Spakkenhauth oder Prinz Kaltbluth. Bitte selbst entschlüsseln!

Doch auch wer über kein großes literarisches Wissen über die Altmeister verfügt, hat trotzdem Spaß an den phantasiereichen Geschichten von Walter Moers, der sich zwar als Übersetzer bezeichnet, der die Werke des zamonischen Autors Hildegunst von Mythenmetz lediglich übersetzt, aber wir wissen ja, dass Zamonien eine Erfindung ist und Herr Mythenmetz ein Phantom. Oder war es doch Walter Moers, den es gar nicht gibt?

Trotz einiger witziger Dialoge und wortgewandten Passagen hat mich »Der Schrecksenmeister« nicht so verzaubert wie »Die Stadt der träumenden Bücher« oder »Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär«. Diesmal war mir der Bezug zu einem anderen Werk – Gottfrieds Kellers »Spiegel, das Kätzchen« – zu offensichtlich, und der Nachgeschmack, dass sich Walter Moers eine Geschichte nimmt und sie nach zamonischer Art verformt, schmeckte diesmal ein bisschen bitter.

Im Ganzen betrachtet, verspricht »Der Schrecksenmeister« jedoch durchaus unterhaltsame Lesestunden.

Walter Moers
Der Schrecksenmeister
Hardcover, illustriert mit Lesebändchen
Piper Verlag. August 2007
ISBN 9783492049375
383 Seiten
22,90 Euro

Webtipps:

© Text: Nicole Rensmann
© Cover: Piper Verlag / Umschlaggestaltung: Walter Moers, Oliver Schmitt
© Zitat: Walter Moers


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